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Ich wollt, ich wär‘ kein Kaktus – Szenen einer schlimmen Kindheit

Haben Sie schon mal einen Kaktus geküsst? Naja, da war damals noch gar nicht daran zu denken. Aber haben Sie schon mal mit einem Kaktus gespielt? Ich meine natürlich, ohne ihn vorher rasiert zu haben? Was kann man mit einem Kaktus machen? Hinstellen und angucken, mehr nicht.

Irgendwann als Kind war ich an Fassenacht ein Kaktus. Ein wunderschönes Kostüm: nicht nur ein Hut mit einem Kaktus drauf, sondern aus einem Drahtgestell gefertigt ein Ungetüm von Kaktus um mich herum. Alle haben mich bewundert. Ich meine jetzt, alle Erwachsenen. Die Kinder haben mich ausgelacht. Die waren alle Cowboys und Indianer. Ich meine jetzt, die Jungen. Die Mädchen hab ich vergessen, die waren Prinzessinnen wahrscheinlich.

Am Fastnachtsdienstag, das war in Darmstadt eindeutig der Hauptfastnachtstag, sind alle verkleidet in die Schule gekommen. Fräulein Käthler hat mich auf einen Stuhl gestellt, dass alle mich sehen konnten. Das war mein schönstes Fastnachtserlebnis.

Nein, jetzt ehrlich: es war furchtbar. Aber wahrscheinlich hab ich mich zuhause so bitter beschwert, dass ich nie mehr Kaktus sein musste. Sehr viel besser ist es dadurch aber nicht geworden, jedenfalls, was die Kostüme anbelangt. Mein Vater war nämlich ein begnadeter Faschingskostümschneider. Meistens hat er mir Offizierskostüme genäht, original großherzoglich. Weil er als alter Darmstädter noch ein glühender Verehrer unseres Großherzogs war. Den haben alle Darmstädter verehrt, weil ihn jeder kannte und er wohl sehr volkstümlich gewesen sein soll.

Aber viel lieber wär ich einmal Cowboy geworden. Das fand mein Vater aber ganz und gar unmöglich. Erstens, weil er was gegen Schießen hatte; ich durfte nicht einmal eine Pistole haben. Zweitens hatte er auch was gegen die Amis. Er meinte immer: „Cowboys“ sind doch nur Kuhjungen. Getröstet hat mich das nicht.

Sie sehen, ich hatte eine schlimme Kindheit. Wie kommt es eigentlich, dass die Fassenacht für uns trotzdem die schönste Zeit des Jahres war – Heiligabend mal ausgenommen?

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2 Kommentare

  1. miriam 15. Februar 2015

    achso, „Offiziere“ benutzen keine Pistolen. Aha. Armer Kleiner.

    • hpp 16. Februar 2015 — Autor der Seiten

      Mein Vater hat natürlich großherzogliche Uniformen genäht, wo die Offiziere nur Degen trugen…

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